Freitag, 30. März 2018

Damals: Warum der deutsche Abend um 20 Uhr 15 beginnt

Damals im letzten Jahrtausend, als die Welt noch nicht so alt war wie heute, war alles, was wir heute kennen, ein Märchen von übermorgen. Es war schwarzweiß und wir nannten es Raumpatrouille Orion. Dies ist kein Märchen von vorgestern!

Warum im deutschsprachigen Fernsehen alle Abendsendungen nicht um 20 Uhr beginnen, wie es in vielen anderen Sprachkulturen der Fall ist, sondern um 20 Uhr 15, hat mit Weihnachten zu tun. Genau gesagt mit dem ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag 1952.
Weihnachten 1952 war eines der arbeitnehmerfreundlichsten Weihnachten. Heiligabend war ein Mittwoch. Das bedeutete für viele Menschen, dass sie viereinhalb Tage Kurzurlaub hatten. (Friseure sogar fünfeinhalb, da Montags nicht gearbeitet wurde.)
Am 25. Dezember konnte alle, die sich einen Fernseher als familiäres Weihnachtsgeschenk gekauft hatten, miterlieben, wie die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) offiziell auf Sendung ging.
Zunächst wurde den Tag über erstmal das sogenannte Testbild ausgestrahlt.
Das Testbild war ein Standbild, mit dessen Hilfe man die Bildschärfe seines Fernsehers optimieren konnte. Männer knieten also vor der sogenannten Mattscheibe, um das Bild scharf zu stellen, während Frauen im Hintergrund nervige Kommentare abgaben, die niemandem nutzten.
Ein paar Jahre später wurde die Fernbedienung erfunden, damit man auf der Couch sitzen und nervige Kommentare über den Blödsinn, der im Fernsehen lief abgeben konnte.
Allerdings war die Fernbedienung per Kabel (meist weiß, aber dennoch fast unsichtbar) mit dem Fernseher verbunden, was zu vielen Stolperern und Stürzen führte.
Am 26. Dezember 1952 erfolgte die Erstausstrahlung der Tagesschau. Damals wie heute dauerte sie 15 Minuten und brachte die angeblich wichtigsten Tagesereignisse dem Fernsehpublikum nahe.
Nach der Tagesschau begann das Abendprogramm. So hieß es allerdings erst, nachdem vor der Tagesschau nicht nur das Testbild lief.
Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), das offiziell am 1. April 1963 auf Sendung ging, war nicht als Aprilscherz gedacht. Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis es flächendeckend empfangbar war. Ich weiß noch, wie traurig ich sonntags als Kind oft war, wenn ich bei meinen Großeltern auf dem Land Urlaub machte, weil das ZDF nur als Schneesturm empfangbar war, weil zwischen dem Sendemast und dem Fernseher meiner Großeltern so ein blödes Ding namens Berg stand. (Warum das Signal der ARD über den Berg kam, das vom ZDF aber nicht, ist mir bis heute ein Rätsel. Es hatte – wenn ich mich recht entsinne – irgendwas mit Sendemast-Streitigkeien zwischen ARD und ZDF zu tun.)
Das ZDF und auch das Privatfernsehen, das 1984 startete, haben immer wieder versucht, das Abendfernsehen um 20 Uhr starten zu lassen, aber die meisten Deutschen haben um 20 Uhr immer die Tagesschau eingeschaltet und sich anschließend beschwert, dass sie 15 Minuten ihrer Lieblingssendung verpassen mussten. (Sofern die nicht in der ARD lief!)
Man muss dazu eines klar und deutlich sagen: Sowas wie streaming oder video on demand gab es im letzten Jahrtausend noch nicht. Ab den 1980ern konnte man sich eventuell einen VHS-Rekorder leisten.
Zuvor saß ich mit dem Mikrofon meines Kassettenrekorders zirka 50 Zentimeter vor dem Lautsprecher unseres Fernseher, um meine Lieblingssendungen zumindest akkustisch aufzunehmen. (Das Bild speicherte ich derweil in meinem Kopf ab.) Jedes Familienmitglied, das auch nur wagte, sich während der Aufnnahmezeit zu räuspern oder gar ein Wort zu flüstern, wurde von mir mit einem vernichtenden Blick bestraft.
Da meine Lieblingssendungen fast alle im ZDF liefen, hatte ich nur ein unüberwindliches Problem: War die Sendung nicht spätesten um 19 Uhr 59, verpasste ich den Schluss, egal was in der Welt sonst noch so geschah, wurde um Punkt 20 Uhr die Tagesschau der ARD eingeschaltet.
Da konnte man machen, was man wollte: Zwischen 20 Uhr 00 und 20 Uhr 15 guckte Deutschland die Tagesschau! Ich habe es nie ausprobiert, aber ich vermute, selbst Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen konnte man in diesen 15 Minuten nicht kontaktieren. Außerdem vermute ich stark, dass die Todesrate in dieser kritischen Zeit fast auf Null sank. Wer stirbt schon gerne, bevor er weiß, wie das Wetter morgen wird.

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