Das Rad hat einer meiner Vorfahren
erfunden. Er hieß Friik und lebte vor rund zehn- oder hunderttausend
Jahren irgendwo am Mittelmeer. Vermutlich in Afrika. So genau weiß
ich das nicht, weil es schwierig ist, meinen Stammbaum soweit zurück
zu verfolgen.
Eines Tages hatte Friik es satt, seinen
schweren eckigen Karren immer ohne Hilfe ziehen zu müssen.
Da dachte er sich: „Warum mache ich
ihn nicht rund?“
Die Idee war an sich nicht schlecht,
aber stets, wenn der Karren sich um 180 Grad gedreht hatte, fiel das
Gemüse zu Boden und Friik musste es immer wieder einsammeln.
Es gelang ihm jetzt zwar viel
unbeschwerlicher, den Karren zu ziehen, aber die Beförderung dauerte
umso länger. Selbst größere Räder brachten nicht viel mehr
Effizienz.
Sein Kumpel Nöörd brachte mit seiner
auch heute noch genialen Frage: „Warum machst du das Runde nicht an
das Eckige?“ Friik schließlich auf eine zündende Idee.
Das war die Geburt des Karrenrades. Das
erste Mobil der Welt.
Ein paar Jahrtausende später erfand
ein Mitbewohner von mir das Automobil. Und vier Jahre darauf das
Fahrrad. Nein, ich meine nicht den Mühlburger Carl Benz (Mühlburg
war seinerzeit noch nicht Stadtteil von Karlsruhe, sondern eine
eigenständige Gemeinde) sondern den Karlsruher Karl
Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn. Benz
entwickelte das erste praxistaugliche motorengetriebene Automobil und
meldete es 1885 als Motorwagen Nummer 1 zum Patent an. Drais
entwickelte 1813 den vierrädrigen „Wagen ohne Pferde“. Leider
musste man aufgrund eines fehlenden Motors ständig an einer Kurbel
drehen, um ihn voranzubewegen.
Das war zwar aus
heutiger Sicht weitaus umweltschonender als die benzsche Erfindung,
konnte sich jedoch nicht durchsetzen.
Zwischen
diesen beiden geschichtlich höchst relevanten Ereignissen entdeckte
die Menschheit, dass ein Kreis die sinnvollste Art eines Rades ist,
da es bei dessen Drehung am wenigsten holpert. Archimedes versuchte
zwischendurch mal zu beweisen, dass ein Kreis eigentlich nichts
anderes ist als ein Quadrat ohne Ecken (oder – anders ausgedrückt
– ein Quadrat, das anstatt 4 Ecken ∞
Ecken hat), scheiterte jedoch bei dem Versuch. Seither gilt die
Quadratur
des Kreises
umgangssprachlich als unlösbare Aufgabe. (Hat irgendwas mit der
Übersinnlichkeit von
zu tun.)
Aber
kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das Handy!
Ja
ich weiß, was der werte Leser jetzt denkt: Rad – Kreis – Handy?
Hat der ein Rad ab?
Hat
sich schon mal jemand auf englisch über Handys unterhalten?
Deutscher:
„A nice Handy you have there.“
Ausländer:
???
Deutscher
(aufs Handy deutend): „Your Handy!“
Ausländer
(aufs Mobiltelefon in der Hand blickend): „Yes, it's handy.“
Deutscher:
„Is yours an iPhone-Handy?“
Ausländer:
„Yes, my iPhone is quite handy.“
Deutscher:
„A quiet handy?“
Spätestens
ab hier endet die Verständigung ziemlich abrupt..!
Um
es kurz zu machen: Handy
ist ein urdeutsches Wort. Es beginnt sich zwar langsam in der
englischen Sprachwelt durchzusetzen (vor allem in Fernost), gilt aber
noch immer als Außenseiter. Die Amis reden meist von cell
(resp. früher cellulare) phone
oder cellphone,
kurz cell,
phone
oder celly
die Sprachwelt mit eher britischem Hintergrund von mobile
phone
oder einfach nur mobile.
Aber
wir reden ja von den Handys des vergangen Jahrtausends. Wir nannten
sie damals noch nicht Handy, sondern schlicht Telephon. Das
ist altgriechisch. Die Indianer nannten es auch „Stimme aus der
Ferne“, da sie genau wussten, wie man Altgriechisch in Rauchzeichen
übersetzt.
Aber
wie sahen diese Uralt-Handys – oder Telephone – aus?
Ganz
am Anfang waren es hölzerne Kasten an der Wand, später gab es sie
auch aus Baskelit. Die waren schwarz. Danach kamen die grauen. Die
formten jahrzehntelang die deutsche Fernsprechkultur.
Später
konnte man dann neben dem bekannten und beliebten Grau unter so
expressionistischen Farben wie Grün oder Orange wählen.
Die
Tastatur war damals rund und man konnte sie drehen. Musste man sogar,
wenn man jemanden anrufen wollte.
Von
den ältesten Holzmodellen abgesehen hatten alle Handys des letzten
Jahrtausends (man war damals übrigens sprachlich vom Telephon zum
kurzen Telefon übergegangen) einen Hörer (oft auch Knochen
genannt), eine Gabel, ein Wählscheibe und zwei Kabel. Das eine war
etwa 20 Zentimeter lang, meist gedrillt, das andere war etwa 2 Meter
lang. Das Telefon selbst hatte den offiziellen Namen
Fernsprechapparat
FeAp) Es gab die Reihe Fernsprechtischapparat (FeTAp) und
Fernsprechwandapparat (FeWAp).
Wie
groß war so ein Telefon und wie habe ich es transportiert? wird sich
der geneigte Jungleser nun eventuell fragen. Legt 5 DVDs übereinander
und darauf eine große Fernbedienung, dann habt ihr eine Schätzgröße.
Steht auf und geht sechs Schritte, dann wisst ihr, wie weit entfernt
von eurer WLAN-Buchse ihr telefonieren konntet.
Zumindest
bevor es 10-Meter-Verlängerungskabel zu kaufen gab. Die hatten
allerdings den krassen Nachteil, dass sie meist in der gesamten
Wohnung zwischen den Zimmern herumlagen. Und wenn dann mal die Türen
zufielen, kam es häufig zu Kabelbrüchen. Diese wirkten sich negativ
auf die Verständigung aus. Zwar konnte man, fand man die
Bruchstelle, die das Telefonat gerade behinderte, meist weiter mit
seinem Gesprächspartner kommunizieren, aber es war doch ziemlich
nervig. Warum hatte man denn ein langes Kabel, wenn man
schlussendlich doch wieder neben der Telefonbuchse stand, um die
diversen Kabelbruchstellen zu entlasten?
Aber
kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Die
Wählscheibe!
Stellen
wir uns mal ein Handy vor, dessen Zahlentastatur nicht rechteckig
sondern rund ist. Darauf sind von links nach rechts die Zahlen 1-9
plus 0 zu sehen. In der Mitte steckt eine runde Scheibe mit einem
Loch. Im Ruhezustand steckt das Loch, in das der Normzeigefinger
eines Menschen reinpasst. Will ich einen Menschen anrufen, dessen
Handy die Nummer 71515 hat (das war damals die innerstädtische
Telefonnummer meiner Familie), stecke ich meinen Finger in das Loch
und drehe so weit, bis die 7 unter dem Loch steht. Dann ziehe ich
meinen Finger aus dem Loch und die Scheibe schallzt automatisch
zurück. Das mache ich mit den anderen Zahlen ebenso. Wenn ich nicht
das kurze „tut-tut-tut“ (das Besetztzeichen, das mir sagt, dass
jemand zuhause ist aber gerade selbst telefoniert) höre, sondern das
lange „tuuuuut“ (das Freizeichen, das mir sagt, dass niemand
gerade telefoniert, egal ob jemand zuhause ist oder nicht), dann
warte ich ein bis fünf Minuten, ob eine Verbindung zustande kommt.
Man weiß ja nie, ob der Angerufene nicht zuhause ist oder sich
gerade auf dem Klo, unter der Dusche oder in der Badewanne befindet.
Da
man damals der Ansicht war, dass jeder Anruf wichtig sei, weil man
sonst ja persönlich vorbeikommen oder am nächsten Tag erzählen
konnte, was man zu sagen hatte, war es üblich, dass man tropfnass
vor dem Telefon stand und entweder den Anruf in letzter Sekunde hatte
entgegen nehmen können oder lediglich nur noch den sogenannten
Freiton hörte, da der Anrufer eine Sekunde zuvor bereits den
Gesprächsversuch beendet hatte. Da man dafür den Hörer auf die
Gabel legen musste, prägte sich das Wort aufgelegt als
verpasste Chance ins Gedächtnis der Deutschsprachler ein.
Blöderweise
hatten die Handys damals keine Recall-Funktion – geschweige
eines Displays für verpasste Anrufe – und nur in wenigen
Ausnahmefällen einen Anrufbeantworter. Daher wusste man nie, wessen
Anruf man gerade tropfnass verpasst hatte.
Also
ging man wieder ins Bad zurück.
Selbstverständlich
hat damals nie jemand dem Anderen gegenüber eingestanden, dass er
versucht hatte, ihn anzurufen. Es sei denn in ganz wichtigen Fällen.
Zu denen zählten vor allem Krankheiten und Sterbefälle, mitunter
auch kurzfristige Einladungen zu Stammtischen, Kegelabenden und
anderen Besäufnissen, die allerdings nur die Väter der Familie
anbelangten.
Eine
tropfnasse Frau am Telefon war seinerzeit absolut nicht
wünschenswert.
Aber
kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Die Null!
Die
0 brauchte man damals übrigens nur, wenn man in eine andere Stadt
telefonieren wollte. (Sowas wurde damals Auswärts- oder
Ferngespräch genannt. Im Gegensatz zum Ortgespräch ohne
Vorwahl) Dann musste man zwischen der 0 und der Nummer auch noch die
Stadtnummer eingeben Das nannte man damals Vorwahl.
Beispielsweise 711 für Stuttgart. Dann musste man 0-711-71515
wählen. Für Gespräche ins Ausland musste man sogar zweimal die 0
wählen. Beispielsweise 001 für die USA, wo meine Tante mit ihrer
Familie lebte.
Wurde
man mit dem anderen Gesprächsteilnehmer verbunden, konnte man sich
erleichtert zurücklehnen und stundenlang telefonieren.
Die
Null (auch als 0 auf der Wählscheibe benannt) gibt es übrigens auch
heutzutage noch. Selbst jede SIM-Nummer eines Smartphones beginnt mit
einer Null. Viele Leute kapieren heutzutage allerdings nicht mehr,
dass man die für Auswärtsgespräche benutzen muss. Nicht umsonst
erhielt ich immer wieder mit der (unterdessen abgeschalteten) Nummer
71515 Ortsgespräche aus Karlsruhe, die eigentlich nach Waiblingen
(Vorwahl 07151) gerichtet waren.
Leider
war die Flatrate damals noch nicht erfunden und selbst
sogenannte Ortsgespräche (also ohne Vorwahl) waren nicht
gerade billig. Was mich als Teenager oft in arge Bedrängnis brachte,
sobald mein Vater auf seinem Kontoauszug sah, dass seine
Telefonrechnung mehr als doppelt oder mitunter gar dreimal so hoch
wie normalerweise war.
Glücklicherweise
gewöhnte er sich während meiner Pubertät an stark überhöhte
Telefonrechnungen.
Er
hatte nun leider einen Sohn, der mehrmals in der Woche stundenlang
telefonierte.
Und
das in einer Zeit, als auf jeder Telefonzelle (das sind so Dinger wie
bei Doctor Who, bloß auf deutsch und gelb) stand: Fasse
dich kurz!
Kein
Wunder, dass meine Eltern ein Auswärtsgespräch immer mit den
Sätzen anfingen: „Hallo, ich bins. Ich will nicht lange reden,
aber...“
Die
meisten dieser Gespräche waren nach weniger als einer Minute
beendet, aber manche dauerten auch über eine halbe Stunde. Das kam
aber höchstens ein- oder zweimal pro Jahr vor, wenn wir mit unseren
Verwandten in den USA telefonierten.
Im
Nachhinein betrachtet gehöre ich und meine Familie zu den Finanziers
der Telekom für ihren Börsengang.
Zum
Glück gibt es heutzutage kein Rad mehr am Telefon, dafür aber die
Flatrate.
Letztere
hätte mir damals viel Ärger mit meinen genervten Eltern erspart.
Aber
auch heutzutage gibt es ja noch eine Menge Kids ohne Flatrate,
die ihren Eltern einen Herzinfarkt oder zumindest einen
Nervenzusammenbruch bescheren.
Das
erleichtert mich irgendwie.
Aber
kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das Rad!
Das
Handy, von dem dieser Artikel eigentlich nicht handelt, hat absolut
nichts mit dem eingangs erwähnten Rad zu tun. Das Rad hat jedoch
kulturhistorisch seinen Wert seit tausenden Jahren in jeglicher Form
bewiesen. Ob man das bei archäologischen Ausgrabungen in fünftausend
Jahren auch über das Handy sagt, bleibt abzuwarten.
Ich
vermute mal: Nein!