Samstag, 12. Mai 2018

Damals: Warum wir das Rad brauchten

Damals im letzten Jahrtausend, als die Welt noch nicht so alt war wie heute, gab es zwar bereits das Handy, aber es hatte noch ein Kabel, das nicht zum Aufladen benutzt wurde. Es war schwarz und wir nannten es Telephon. Dies ist kein Märchen von vorgestern!

Das Rad hat einer meiner Vorfahren erfunden. Er hieß Friik und lebte vor rund zehn- oder hunderttausend Jahren irgendwo am Mittelmeer. Vermutlich in Afrika. So genau weiß ich das nicht, weil es schwierig ist, meinen Stammbaum soweit zurück zu verfolgen.
Eines Tages hatte Friik es satt, seinen schweren eckigen Karren immer ohne Hilfe ziehen zu müssen.
Da dachte er sich: „Warum mache ich ihn nicht rund?“
Die Idee war an sich nicht schlecht, aber stets, wenn der Karren sich um 180 Grad gedreht hatte, fiel das Gemüse zu Boden und Friik musste es immer wieder einsammeln.
Es gelang ihm jetzt zwar viel unbeschwerlicher, den Karren zu ziehen, aber die Beförderung dauerte umso länger. Selbst größere Räder brachten nicht viel mehr Effizienz.
Sein Kumpel Nöörd brachte mit seiner auch heute noch genialen Frage: „Warum machst du das Runde nicht an das Eckige?“ Friik schließlich auf eine zündende Idee.
Das war die Geburt des Karrenrades. Das erste Mobil der Welt.

Ein paar Jahrtausende später erfand ein Mitbewohner von mir das Automobil. Und vier Jahre darauf das Fahrrad. Nein, ich meine nicht den Mühlburger Carl Benz (Mühlburg war seinerzeit noch nicht Stadtteil von Karlsruhe, sondern eine eigenständige Gemeinde) sondern den Karlsruher Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn. Benz entwickelte das erste praxistaugliche motorengetriebene Automobil und meldete es 1885 als Motorwagen Nummer 1 zum Patent an. Drais entwickelte 1813 den vierrädrigen „Wagen ohne Pferde“. Leider musste man aufgrund eines fehlenden Motors ständig an einer Kurbel drehen, um ihn voranzubewegen.
Das war zwar aus heutiger Sicht weitaus umweltschonender als die benzsche Erfindung, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

Zwischen diesen beiden geschichtlich höchst relevanten Ereignissen entdeckte die Menschheit, dass ein Kreis die sinnvollste Art eines Rades ist, da es bei dessen Drehung am wenigsten holpert. Archimedes versuchte zwischendurch mal zu beweisen, dass ein Kreis eigentlich nichts anderes ist als ein Quadrat ohne Ecken (oder – anders ausgedrückt – ein Quadrat, das anstatt 4 Ecken Ecken hat), scheiterte jedoch bei dem Versuch. Seither gilt die Quadratur des Kreises umgangssprachlich als unlösbare Aufgabe. (Hat irgendwas mit der Übersinnlichkeit von zu tun.)

Aber kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das Handy!
Ja ich weiß, was der werte Leser jetzt denkt: Rad – Kreis – Handy? Hat der ein Rad ab?

Hat sich schon mal jemand auf englisch über Handys unterhalten?
Deutscher: „A nice Handy you have there.“
Ausländer: ???
Deutscher (aufs Handy deutend): „Your Handy!“
Ausländer (aufs Mobiltelefon in der Hand blickend): „Yes, it's handy.“
Deutscher: „Is yours an iPhone-Handy?“
Ausländer: „Yes, my iPhone is quite handy.“
Deutscher: „A quiet handy?“
Spätestens ab hier endet die Verständigung ziemlich abrupt..!
Um es kurz zu machen: Handy ist ein urdeutsches Wort. Es beginnt sich zwar langsam in der englischen Sprachwelt durchzusetzen (vor allem in Fernost), gilt aber noch immer als Außenseiter. Die Amis reden meist von cell (resp. früher cellulare) phone oder cellphone, kurz cell, phone oder celly die Sprachwelt mit eher britischem Hintergrund von mobile phone oder einfach nur mobile.

Aber wir reden ja von den Handys des vergangen Jahrtausends. Wir nannten sie damals noch nicht Handy, sondern schlicht Telephon. Das ist altgriechisch. Die Indianer nannten es auch „Stimme aus der Ferne“, da sie genau wussten, wie man Altgriechisch in Rauchzeichen übersetzt.
Aber wie sahen diese Uralt-Handys – oder Telephone – aus?
Ganz am Anfang waren es hölzerne Kasten an der Wand, später gab es sie auch aus Baskelit. Die waren schwarz. Danach kamen die grauen. Die formten jahrzehntelang die deutsche Fernsprechkultur.
Später konnte man dann neben dem bekannten und beliebten Grau unter so expressionistischen Farben wie Grün oder Orange wählen.
Die Tastatur war damals rund und man konnte sie drehen. Musste man sogar, wenn man jemanden anrufen wollte.
Von den ältesten Holzmodellen abgesehen hatten alle Handys des letzten Jahrtausends (man war damals übrigens sprachlich vom Telephon zum kurzen Telefon übergegangen) einen Hörer (oft auch Knochen genannt), eine Gabel, ein Wählscheibe und zwei Kabel. Das eine war etwa 20 Zentimeter lang, meist gedrillt, das andere war etwa 2 Meter lang. Das Telefon selbst hatte den offiziellen Namen Fernsprechapparat FeAp) Es gab die Reihe Fernsprechtischapparat (FeTAp) und Fernsprechwandapparat (FeWAp).
Wie groß war so ein Telefon und wie habe ich es transportiert? wird sich der geneigte Jungleser nun eventuell fragen. Legt 5 DVDs übereinander und darauf eine große Fernbedienung, dann habt ihr eine Schätzgröße. Steht auf und geht sechs Schritte, dann wisst ihr, wie weit entfernt von eurer WLAN-Buchse ihr telefonieren konntet.
Zumindest bevor es 10-Meter-Verlängerungskabel zu kaufen gab. Die hatten allerdings den krassen Nachteil, dass sie meist in der gesamten Wohnung zwischen den Zimmern herumlagen. Und wenn dann mal die Türen zufielen, kam es häufig zu Kabelbrüchen. Diese wirkten sich negativ auf die Verständigung aus. Zwar konnte man, fand man die Bruchstelle, die das Telefonat gerade behinderte, meist weiter mit seinem Gesprächspartner kommunizieren, aber es war doch ziemlich nervig. Warum hatte man denn ein langes Kabel, wenn man schlussendlich doch wieder neben der Telefonbuchse stand, um die diversen Kabelbruchstellen zu entlasten?

Aber kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Die Wählscheibe!
Stellen wir uns mal ein Handy vor, dessen Zahlentastatur nicht rechteckig sondern rund ist. Darauf sind von links nach rechts die Zahlen 1-9 plus 0 zu sehen. In der Mitte steckt eine runde Scheibe mit einem Loch. Im Ruhezustand steckt das Loch, in das der Normzeigefinger eines Menschen reinpasst. Will ich einen Menschen anrufen, dessen Handy die Nummer 71515 hat (das war damals die innerstädtische Telefonnummer meiner Familie), stecke ich meinen Finger in das Loch und drehe so weit, bis die 7 unter dem Loch steht. Dann ziehe ich meinen Finger aus dem Loch und die Scheibe schallzt automatisch zurück. Das mache ich mit den anderen Zahlen ebenso. Wenn ich nicht das kurze „tut-tut-tut“ (das Besetztzeichen, das mir sagt, dass jemand zuhause ist aber gerade selbst telefoniert) höre, sondern das lange „tuuuuut“ (das Freizeichen, das mir sagt, dass niemand gerade telefoniert, egal ob jemand zuhause ist oder nicht), dann warte ich ein bis fünf Minuten, ob eine Verbindung zustande kommt. Man weiß ja nie, ob der Angerufene nicht zuhause ist oder sich gerade auf dem Klo, unter der Dusche oder in der Badewanne befindet.
Da man damals der Ansicht war, dass jeder Anruf wichtig sei, weil man sonst ja persönlich vorbeikommen oder am nächsten Tag erzählen konnte, was man zu sagen hatte, war es üblich, dass man tropfnass vor dem Telefon stand und entweder den Anruf in letzter Sekunde hatte entgegen nehmen können oder lediglich nur noch den sogenannten Freiton hörte, da der Anrufer eine Sekunde zuvor bereits den Gesprächsversuch beendet hatte. Da man dafür den Hörer auf die Gabel legen musste, prägte sich das Wort aufgelegt als verpasste Chance ins Gedächtnis der Deutsch­sprachler ein.
Blöderweise hatten die Handys damals keine Recall-Funktion – geschweige eines Displays für verpasste Anrufe – und nur in wenigen Ausnahmefällen einen Anrufbeantworter. Daher wusste man nie, wessen Anruf man gerade tropfnass verpasst hatte.
Also ging man wieder ins Bad zurück.
Selbstverständlich hat damals nie jemand dem Anderen gegenüber eingestanden, dass er versucht hatte, ihn anzurufen. Es sei denn in ganz wichtigen Fällen. Zu denen zählten vor allem Krankheiten und Sterbefälle, mitunter auch kurzfristige Einladungen zu Stammtischen, Kegelabenden und anderen Besäufnissen, die allerdings nur die Väter der Familie anbelangten.
Eine tropfnasse Frau am Telefon war seinerzeit absolut nicht wünschenswert.

Aber kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Die Null!
Die 0 brauchte man damals übrigens nur, wenn man in eine andere Stadt telefonieren wollte. (Sowas wurde damals Auswärts- oder Ferngespräch genannt. Im Gegensatz zum Ortgespräch ohne Vorwahl) Dann musste man zwischen der 0 und der Nummer auch noch die Stadtnummer eingeben Das nannte man damals Vorwahl. Beispielsweise 711 für Stuttgart. Dann musste man 0-711-71515 wählen. Für Gespräche ins Ausland musste man sogar zweimal die 0 wählen. Beispielsweise 001 für die USA, wo meine Tante mit ihrer Familie lebte.
Wurde man mit dem anderen Gesprächsteilnehmer verbunden, konnte man sich erleichtert zurücklehnen und stundenlang telefonieren.
Die Null (auch als 0 auf der Wählscheibe benannt) gibt es übrigens auch heutzutage noch. Selbst jede SIM-Nummer eines Smartphones beginnt mit einer Null. Viele Leute kapieren heutzutage allerdings nicht mehr, dass man die für Auswärtsgespräche benutzen muss. Nicht umsonst erhielt ich immer wieder mit der (unterdessen abgeschalteten) Nummer 71515 Ortsgespräche aus Karlsruhe, die eigentlich nach Waiblingen (Vorwahl 07151) gerichtet waren.
Leider war die Flatrate damals noch nicht erfunden und selbst sogenannte Ortsgespräche (also ohne Vorwahl) waren nicht gerade billig. Was mich als Teenager oft in arge Bedrängnis brachte, sobald mein Vater auf seinem Kontoauszug sah, dass seine Telefonrechnung mehr als doppelt oder mitunter gar dreimal so hoch wie normalerweise war.
Glücklicherweise gewöhnte er sich während meiner Pubertät an stark überhöhte Telefonrechnungen.
Er hatte nun leider einen Sohn, der mehrmals in der Woche stundenlang telefonierte.
Und das in einer Zeit, als auf jeder Telefonzelle (das sind so Dinger wie bei Doctor Who, bloß auf deutsch und gelb) stand: Fasse dich kurz!
Kein Wunder, dass meine Eltern ein Auswärtsgespräch immer mit den Sätzen anfingen: „Hallo, ich bins. Ich will nicht lange reden, aber...“
Die meisten dieser Gespräche waren nach weniger als einer Minute beendet, aber manche dauerten auch über eine halbe Stunde. Das kam aber höchstens ein- oder zweimal pro Jahr vor, wenn wir mit unseren Verwandten in den USA telefonierten.
Im Nachhinein betrachtet gehöre ich und meine Familie zu den Finanziers der Telekom für ihren Börsengang.
Zum Glück gibt es heutzutage kein Rad mehr am Telefon, dafür aber die Flatrate.
Letztere hätte mir damals viel Ärger mit meinen genervten Eltern erspart.
Aber auch heutzutage gibt es ja noch eine Menge Kids ohne Flatrate, die ihren Eltern einen Herzinfarkt oder zumindest einen Nervenzusammenbruch bescheren.
Das erleichtert mich irgendwie.

Aber kommen wir endlich zum eigentlichen Thema dieses Artikels: Das Rad!
Das Handy, von dem dieser Artikel eigentlich nicht handelt, hat absolut nichts mit dem eingangs erwähnten Rad zu tun. Das Rad hat jedoch kulturhistorisch seinen Wert seit tausenden Jahren in jeglicher Form bewiesen. Ob man das bei archäologischen Ausgrabungen in fünftausend Jahren auch über das Handy sagt, bleibt abzuwarten.
Ich vermute mal: Nein!

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